Bergfest

Ich war auf dem Berg. Noch außer Atem hatte ich schon fast vergessen, dass dieser Zustand nicht von dem atemberaubenden Ausblick, sondern von dem steilen Aufstieg kam. Trotz dieses wunderschönen Herbsttages und den vielen Schätzen auf dem Weg, musste ich mich an manchen Stellen erinnnern, dass ich wandern liebe und dass ein richtiger Gipfel sich noch immer gelohnt hatte anstatt mich für verrückt zu erklären mir diese stetige Bergauf-Anstrengung anzutun. Doch sobald ich auf dem Gipfels stand, galt nur noch das 360° Panorama, die prachtvolle Majestät der Berge, die türkis schimmernden Seen, das Kreuz vor der Weite des Himmels.
Zeit, um Gepäck und Anspannung los- und sich ganz von der Freude füllen zu lassen.
Ein Bergfest feiern.

Ich saß noch eine Weile da, blickte auf den Berggrad zum nächsten Gipfel, beobachtete die Leute, die weitergingen und in mir wuchs der Wunsch es ihnen gleichzutun. Das war nicht der Plan- ich hatte zwar schon vorher mit dieser Gradwanderung geliebäugelt, aber in der Beschreibung stand: schwer und lang. Irgendwann ja, aber nicht heute. "Das ist eine schöne Route für ein anderes Mal , wenn wir mehr Zeit haben", sagte der Mann neben mir zu seinem Weggefährten. Dito. "Das ist eine der schönsten Gradwanderungen in den Alpen", versprach mir Google. Das sehe ich, dachte ich und schwankte zwischen einem entspannten Abstieg oder einem kleinen Abenteuer. Es war als hätte ich eine Verheißung bildlich vor Augen, sie war so real und greifbar, dass es sich wie eine verpasste Chance angefühlt hätte, nicht hineinzutreten. Ich konnte nicht wiederstehen.

Nach einigen Minuten war mir klar, dass das im wahrsten Sinne eine Gradwanderung war- auch zwischen abenteuerlustig und leichtsinnig. Der Weg war machbar, aber mit nachlassender Konzentration und müden Beinen ziemlich anstrengend. Am schlimmsten war die Angst, die mich plötzlich gepackt hatte und mich mehrmals stolpern ließ. Der Weg kannte schnell keine einfachere Alternative mehr, es gab nur die Flucht nach vorne- vertrauend gehen oder kräftesammelnd stehen- wie der ältere Herr vor mir, ein Einheimischer, der meinen fixierten Blick von Boden in die Weite. lenkte und mir die Berggipfel in der Ferne beschrieb. Danach hatte ich wieder mehr Zuversicht und als ich das zweite Gipfelkreuz erreichte, hatte ich schon wieder so viel Mumm in den Knochen, dass ich auch noch weitergegangen wäre- anstatt ins Tal zu gondeln- aber man soll es ja auch nicht übertreiben. Ein kleines Schild auf der großen Tafel der Wanderwege fesselte meine Aufmerksamkeit. Über der Route, die ich gerade gegangen war, stand: "Nur für Geübte". Und ja, ich war stolz mich in diese Kategorie zählen zu dürfen- kein Anfänger mehr- ich hatte über die Jahre Erfahrugen gesammelt und an Trittsicherheit dazugewonnen. Aber ganz ehrlich: hätte ich dieses Schild auf der anderen Seite gesehen, vielleicht wäre ich nicht gegangen.

Im Nachhinein verstehe ich das Bild, in das mich Gott mit diese Wanderung ganz aktiv hineingestellt hat. Ich frage mich, wie oft wir in unserem Leben an Punkten stehen, wo Gottes große Verheißungen, die Entwicklungsschritte, die er für uns vorbereitet hat wie vor unseren Augen verschwimmen, weil wir dieses kleine "Nur für Geübte"-Schild fixieren. Natürlich ist Vieles ein großes Wagnis und Risiko, wenn wir nur mit unserer eigenen Kraft und unseren begrenzten Fähigkeiten rechnen. Für mehr Abenteuer kann mein Wunsch nach Kontrolle und Sicherheit nicht haften. Da laufe ich lieber nochmal eine Runde, um- wie freundlich- wieder an der selben Weggabelung zu landen und die Frage zu hören: Wagst du es jetzt mit mir? Trittst du jetzt in das hinein, wozu ich dich gerufen habe und befähigen werde?
Ich glaube fest: es ist in Ordnung Angst zu haben. Der Vater kennt uns doch. Andererseits würde ich keinen dieser Schritte missen wollen, wo ich endlich den Mut gefasst hatte aus meiner Komfortzone heraus und in einen seiner guten Pläne hinein zu treten. Der Rückblick macht so viel Freude.

Vor ein paar Wochen stand ich wieder an so einer Stelle. Ich hatte zwei Nächte lang mit Gottes Reden und meinen eigenen Träumen gerungen- zwischen 0 und 3 Uhr hatte ich tolle Erkenntnisse, konkrete Handlungsschritte und das alles vor einer Traumschloßkulisse. Nach dem Aufstehen hatte ich Augenringe und mein Mut war wie das Schloß zerplatzt. Ich wusste ziemlich sicher: Ich kann etwas mit Autorität weitergeben und so in eine Verheißung hineintreten, aber ich begebe mich damit auch in Gefahr mit Tatsachen konfrontiert zu werden, die ich mir so nicht vorgestellt hätte. Es war so, wie ich es befürchtet hatte: mein Luftschloss wurde größtenteils abgerissen, aber an seiner Stelle stand ein stolzer Vater mit offenen Armen und einem Schild in der Hand. "Nur für Geübte" stand darauf. Und das war so viel besser.

"Denn Gott ist nicht ungerecht, er vergisst nicht, was ihr alles getan habt. Ihr habt bewiesen, wie groß eure Liebe zu ihm ist, indem ihr anderen Gläubigen tatkräftig zur Seite gestanden habt, wie ihr es ja auch weiterhin tut. Es ist deshalb unser dringender Wunsch für jeden von euch, dass ihr bis zuletzt den selben Eifer an den Tag legt, damit sich die Hoffnung, die Gott euch gab, voll und ganz erfüllt. Werdet also nicht gleichgültig, sondern nehmt euch die zum Vorbild, die unbeirrt und voll Vertrauen auf das ihnen zugesagte Erbe warteten und die es daher auch in Empfang nehmen werden." Hebr. 6, 10f.

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