Kuriose Leidenschaft
Ich liebe die Großstadt für ihre charmanten Charaktere, die
man nur entdeckt, wenn man genau hinschaut. Irgendwie sind sie verrückt, aber
auf eine ganz liebenswerte Art und Weise. Da ist der vogelbegeisterte Herr, der
auf kleinen Plakaten für die 50 deutsch-englischsprachigen Vogelspaziergängen
wirbt, die er allsonntäglich zu Feier seines 50. Lebensjahres anbieten will,
mit anschließendem Geburtstagskuchenessen. Ich stell mir diesen großen schlanken
Briten vor in khaki-farbener Tweedjacke, Hut und Fernglas, der als „
experienced warden from The Royal Society for the
Protection of Birds“ natürlich ein Fachmann für Vögel und Kuchen ist. Das ist
so abstrus, dass ich es für wahr halte.
Mein Lieblingsfreund ist mir jetzt schon zweimal dienstagabends
unter einer Brücke im Englischen Garten begegnet. Dort steht er bei Regen&Wind
in seinem langen Mantel und spielt auf seiner Posaune eine warme Melodie, die
durch die Bäume in den finsteren Park hallt. Kein Mensch hält sich bei diesem
kalten Naß freiwillig im Freien auf, aber er scheint es zu genießen. Ich habe
ihn Paul genannt-das passt zu einem jungen Park-Posaunisten. Heimlich bewundere
ich ihn, weil er sich von den wettrigen Widrigkeiten und vielleicht auch
lärmempfindlichen Hausbewohnern nicht von seiner Leidenschaft abhalten lässt.
Und jedes Mal nachdem ich kurz erschrocken bin, muss ich schmunzeln, weil ich
mir wieder eine neue Geschichte ausdenken kann, was seine Vision damit ist.
Vielleicht übt er fleißig, um eines sonnigen Morgens seiner großen Liebe ein
Ständchen zu bringen. Oder er versucht alte geistliche Prinzipien aufleben zu
lassen und mit Posaunenschall sein persönliches Jericho zum Einsturz zu bringen.
Bisher bin ich nur beim verbotenen Überfahren des
Marienplatzes mit dem Fahrrad öffentlich aufgefallen (was
mich quasi 15 Kugeln Eis gekostet hat-naja nur 10 in München). Vielleicht sollte ich noch
ein wenig an meinem Charme arbeiten.
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