reality is your friend
Dieses Statement begegnet mir in letzter Zeit oft, springt mich
wie von der Seite an und ich frag mich, ob ich ihm wirklich eine Chance geben
will sich für eine Weile in meinen Gedanken einzunisten. Also gut. Ich weiß
nicht, ob ich mit der Realität befreundet sein will, solange meine Tagträume
besser aussehen, nie langweilig schmecken und immer ein Happy End haben.
Neuanfänge sind doch super.
Davon wollte ich mich selbst überzeugen und in meiner
Gedankenspielerei hat das gut funktioniert. Nach sieben Jahren in einer
wundervollen Stadt mit wunderbaren Leuten, in denen sich in meinem Leben vieles
entfaltet hatte, schien es wie das einzig Richtige nach neuen Abenteuern und Herausforderungen Ausschau
zu halten. München, die schillernde Großstadt schien für meine Dorfkind-Seele
zwar nicht perfekt, aber definitiv einen Versuch wert. Ich würde in eine
bezahlbare Wohnung in guter Nachbarschaft zu den Reichen & Schönen und
Münchens innerstädtischem Naturerholungsgebiet ziehen. Nach einigen Wochen
schon viele neue vertraute Freunde haben-schüchtern war gestern! Ich könnte
quasi rund um die Uhr Entdeckerin von Geheimnissen, Schönheiten und
Lieblingsplätzen sein und mich in so manchem neu erfinden. Meine neuen Kollegen
wären der Hammer und ich eine mutige Uni-Pionierin. Es würde mir Spaß
machen Gottes Führung und seinem Reden in all den Umbrüchen wie
Gemeindewechsel, einen neuen Alltag mit ihm finden, seinen Verheißung und
meiner Berufung hinterherjagen- zu entdecken.
Pustekuchen!
Ganz ehrlich: Seit ich umgezogen bin, fühlt sich mein Leben
wie eine Baustelle an und es fällt mir schwer etwas zu lieben was einer
Lärmbelästigung gleich kommt, alles einstaubt und nichts am richtigen Ort
lässt. Die reale Baustelle in meiner WG war das kleinste Problem, viel mehr war ich damit
konfrontiert herauszufinden, wer ich eigentlich noch bin, wenn ich nicht diese
guten Freunde und Vertraute um mich habe, dich mich mögen & mich ermutigen.
Mein sicheres Umfeld war auf Zimmergröße geschrumpft. Bin ich wirklich so
abhängig von dem was mich umgibt und was ist eigentlich mit Gottes Geist in mir
los? Ist der so feige wie ich?
München
ist nicht furchtbar, aber anders. Ich bin in den letzten Jahren kontaktfreudiger,
aber nicht übermäßig extrovertiert
geworden und gute Freunde kann man immer noch nicht wie reife Äpfel am
Straßenrand pflücken. Ich mag meine Kollegen, aber sie standen zunächst einfach
nicht zur Verfügung und all meine Struktur in Leben und Arbeit musste ich mir
erst mal selbst schaffen und war darin
nicht besonders erfolgreich. In meinem Ablenkungsmanöver in Form von exzessiven
Film-und Bücherkonsum, um meiner (manchmal auch selbstgewählten) Einsamkeit zu
entwischen, ist mir Gott auch nur selten begegnet. Das schwarze Sommerloch
hatte mich geschluckt und meine
Entdeckerlust ohne Überreste verdaut.
Kitsch ist Schönheit ohne Wahrheit.
Manche meiner Tagträume sind so kitschig- schön wie eine
Seifenblase, aber schnell zerplatzt und dann will ich doch lieber die Realität,
die nicht immer nett aber zumindest greifbar wahr ist. Am Wochenende war ich
zurück in meiner alten Stadt. Von der ersten Minute an hat es wie Heimat
gerochen, meine Freunde, mein geistliches Zuhause, all die vertrauten Wege
waren so präsent wie vielleicht nie zuvor. Es war wie Heimkommen nach einer
langen Reise. Ich entdeckte mich bei dem Gedanken, wie es wäre einfach alles rückgängig
zu machen, wieder in mein Nest zurückzukehren.
Aber auch wenn sich Fliegen erst mal wie der freie Fall anfühlt, erhebt
mich die Freude es gewagt zu haben, trägt mich der Glaube, dass es das Richtige
war und gibt mir Aufwind der, dem ich erlaubt habe meinem Leben neue Saiten
aufzuziehen und der sich noch zu allen Zeiten als treu erwiesen hat. Realität
ist seine Spezialität!
Finden, was schon da ist.
Eigentlich wäre es schrecklich innerhalb von 2 Monaten schon
all die Geheimnisse entdeckt zu haben, die sich mir zuvor auch erst im Laufe
der Zeit offenbart hatten und über die Jahre in ihrer Schönheit gereift waren. „Lass
uns den Herbst suchen, Miri, du kennst doch die besten Plätze!“, sagte meine
ehemalige Mitbewohnerin und wir zogen los und gingen die altbekannten Pfade
über die Wiesen, durch die Weinberge, begleitet von Herbstlicht und Wind. Wir
hatten unsere Augen und Herzen so weit für all die Schätze am Wegesrand
geöffnet, dass wir mit einer ganzen Tasche voll Habseligkeiten zurückkehrten:
Kastanien, Beeren, Verblühtes, Hagebutten, nette Begegnungen. Ich war erstaunt.
Manche Orte hatte ich gekannt, aber so einiges haben wir gemeinsam neu
entdeckt, einfach nur weil wir mit einem Ziel (Herbstdeko finden) und einer
Weite (Schönheit selbst im Kleinsten feiern) losgezogen waren. Daraus will ich
lernen und nicht nur dankbar zurückschauen, sondern auch mit offenen Augen und
Ohren vorwärts gehen und all das Finden,
was schon real verfügbar ist und darauf wartet von einer abenteuerlustigen (und
manchmal trägen) Pionierin entdeckt zu werden.
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